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Repertoire

Der weiße

Schwarze



Verdis Otello an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Martin Sigmund

Bewertung:    



Ot(h)ello darf, nach heutiger Abmachung, nicht mehr schwarz sein. Damit ist die mögliche Verallgemeinerung, dass die Farbigen die Bösen sind, aus der Welt geschafft. Zugleich aber wurde die Lesart entsorgt, wonach sie wegen ihrer Hautfarbe gehasst und diskriminiert werden. Wo es keine Unterschiede gibt, gibt es auch keinen Rassismus, und die ganze Problematik von Shakespeares Drama und Verdis Oper geht flöten. Indem man die Literatur von allen Personen und Signalen befreit, die auf Vorurteile hindeuten, beraubt man sie ihres Kerns und somit ihrer Notwendigkeit. Mit den chauvinistischen Western der fünfziger Jahre und ihrem rassistischen Bild der „Indianer“ hat man auch die Auseinandersetzung mit der Genozidgrundlage der heutigen USA eliminiert. Es ist, als wollte man das Unheil von Kriegen an Beispielen demonstrieren, in denen Krieg nicht vorkommt.

Ot(h)ello handelt bekanntlich von der (selbst)zerstörerischen Energie der Eifersucht, die im konkreten Fall produziert wird durch eine Intrige, bei der die Hautfarbe der Titelfigur, also Rassismus, eine Rolle spielt. Wenn man Othello seines Distinktionsmerkmals beraubt, dann mag das dem Geist der Stunde entsprechen, aber es zerstört die Logik des Stücks und nicht zuletzt seine tatsächlich aktuelle antirassistische Stoßrichtung: Ohne einen als andersartig wahrgenommenen Othello – sei der nun ein „Mohr“ oder, wie die Forschung vorschlägt, ein „Maure“, also ein nordafrikanischer Muslim – verliert sie, ebenso wie ein Kaufmann von Venedig ohne einen jüdischen Shylock, ihr Argument. Es läuft dann auf den fatalen Denkfehler von Max Frischs "Andorra" hinaus: Der Rassismus ist bloß deshalb verwerflich, weil der Jud gar kein Jud, der Mohr gar kein Mohr ist, sondern alle Menschen gleich (alte weiße Männer?) sind.

Im Übrigen ist in Stuttgart nicht wirklich auszumachen, ob Othello weiß oder schwarz ist, weil fast der ganze Abend in Gegenlicht getaucht ist und so das Erkennen der Gesichter verhindert.

Die Besetzung der Desdemona mit Esther Dierkes bleibt für die gesamte Aufführungsserie konstant. In den Rollen des Otello, des Cassio, der Emilia und des Rodrigo hingegen wechselt die Besetzung. Das ist in einer Welt, in der sich Schauspieler per Leserbrief beschweren, wenn sie in einer Besprechung nicht namentlich genannt werden, ein Problem. Kritiker sehen sich in der Regel nur Premieren an. Wer für diese vorgesehen ist, hat das Ass gezogen. Wer als zweite oder dritte Besetzung eingeplant wurde, geht bei der Gier nach öffentlicher Wahrnehmung leer aus. Das Leben ist ungerecht. Nicht nur gegenüber dem Othello der Dichtung, sondern auch gegenüber dessen Verkörperung, Gesang inklusive.

Betonen wir also, dass das Ensemble musikalisch strengsten Maßstäben entspricht und dass Esther Dierkes mit dem Armenier Arsen Soghomonyan in der Titelrolle und mit Daniel Mirosław als Jago würdige Partner hat, die ihr auf Augenhöhe begegnen können.

Was sich für den Gesang bestätigen lässt, trifft auf die Inszenierung leider nicht zu. Die Italienerin Silvia Costa kommt über Routine nicht hinaus. Es besteht ein unproduktiver Kontrast zwischen der unterkühlten Regie und der hochdramatischen Interpretation von Verdis Musik durch den rumänischen Dirigenten Vlad Iftinca.

Die Umarmung Desdemonas durch ihren Gemahl findet auf eine Entfernung von geschätzt zehn Metern statt. Wir haben verstanden: Was wir sehen, soll nicht bloß die Worte illustrieren. Das ist nicht gerade neu und im gegebenen Kontext ganz sicher nicht zielführend.

Othello und Desdemona sind zwei schwarz verhüllte Figuren zugeordnet, die deren innere Gefühle pantomimisch darstellen. Eine hybride Mischung sozusagen aus halbverstandenem Kabuki und psychologischem Realismus.

Der Chor tritt in weißen (ein Engelschor?) und schwarzen (ein Chor von Ordensleuten?) Gewändern auf und befolgt die Anweisungen zu einer mehr oder weniger symmetrischen Aufstellung.

In den Übertiteln werden Leitbegriffe und Wörter, die heute „verboten“ sind, wie beispielsweise „MOHR“, durch Versalien hervorgehoben. Wer sich freilich darauf konzentriert, muss den Blick vom Bühnengeschehen abwenden, was nicht unbedingt einen großen Verlust bedeutet.

Zwischen den Akten werden Fotoporträts und Kurzvideos von John Akomfrah, die farbige Menschen in unterschiedlicher Umgebung zeigen, auf einen Vorhang projiziert. Sehr viel haben auch sie freilich weder mit Shakespeares Tragödie, noch mit Verdis Oper zu tun. Aber sie bieten der Stuttgarter Oper Gelegenheit, sich selbst zu preisen:


„Er gewann 2017 den Artes Mundi-Preis und wurde in der 2023 UK Honours List mit dem Ritterschlag geehrt. Im Jahr 2024 präsentierte Akomfrah im britischen Pavillon in Venedig ein neues Werk mit dem Titel Listening All Night to the Rain, das vom British Council für die 60. internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia in Auftrag gegeben wurde.“


Na wenn das nichts ist! Wer fragt schon nach der Triftigkeit einer Opernlogik, wenn die Biennale von Venedig winkt.



Verdis Otello an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Martin Sigmund

Thomas Rothschild - 4. Juli 2025
ID 15349
OTELLO (Staatsoper Stuttgart, 30.06.2025)
Musikalische Leitung: Vlad Iftinca
Regie und Bühne: Silvia Costa
Kostüme: Gesine Völlm
Videokunst: John Akomfrah
Licht: Marco Giusti
Dramaturgie: Julia Schmitt
Besetzung:
Otello ... Arsen Soghomonyan
Cassio ... Kai Kluge
Desdemona ... Esther Dierkes
Emilia ... Itzeli del Rosario
Herold ... Kyung Won Yu
Jago ... Daniel Mirosław
Lodovico ... Andrea Pellegrini
Montano ... Aleksander Myrling
Rodrigo ... Alberto Robert
Kinderchor der Staatsoper Stuttgart
Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart
Premiere war am 18. Mai 2025.
Weitere Termine: 06., 09., 16., 18.07./ 11., 18., 22., 25.10./ 07., 13., 15., 19.11.2025


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de


Post an Dr. Thomas Rothschild

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